Die öffentliche Wahrnehmung der „Papenhütte“ in der Nachkriegszeit (1945-1985)

„Du wirst auch noch mal in der Papenhütte enden“ - die „Papenhütte“ als Ort gesellschaftlicher Verlierer

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Neues Tageblatt vom 08.07.1948.

Die „Papenhütte“ war im Osnabrück der unmittelbaren Nachkriegszeit ein stadtbekannter Ort. Mit dem „Armenhaus der Stadt“ assoziierten die Osnabrücker:innen primär einen äußerlich heruntergekommenen Ort, dessen Bewohner:innen gesellschaftliche Absteiger und Aussätzige seien. Als Notunterkunft nutzten die „Papenhütte“ diejenigen Osnabrücker:innen, die kurzfristig wohnungslos geworden waren. Im Allgemeinen sollte die „Papenhütte“ als Ort dienen, an dem man nur solange verweilte, bis man wieder in ein geregeltes Mietverhältnis gelangt war. Wurde die „Papenhütte“ jedoch zum dauerhaften Zuhause der Bewohner:innen, so war für die Osnabrücker Mehrheitsgesellschaft klar, dass jene Bewohner:innen ihre Lebensumstände selbst zu verantworten hätten. Sie hätten sich mit der Armut abgefunden oder seien nicht entschlossen genug, etwas daran zu ändern: „Es ist mit einem Wort scheußlich, daß hier jemand nicht zu fliehen entschlossen ist.“ Dementsprechend kann es kaum überraschen, dass die „Papenhütte“ im öffentlichen Diskurs als Ort auftaucht, der Menschen mit „schlechtem Lebenswandel" vorbehalten war. Beinahe als Mahnung erscheint folgendes Narrativ, das in einem Artikel des Neuen Tagesblattes vom 08.07.1948 (siehe Abbildung links) reproduziert wird: Menschen mit „schlechtem Lebenswandel" und ohne finanzielles Verantwortungsbewusstsein würden zwangsläufig in der „Papenhütte“ landen, so der Osnabrücker Volksmund: „Wer früher in Osnabrück auf den Hund zu kommen drohte, dem prophezeite man die Papenhütte. Du wirst auch nochmal in der Papenhütte enden, sagten jene, die verstanden ordentlicher zu leben.“

 

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Das Foto zeigt Bewohner:innen der Papenhütte,1952. Freie Presse vom 02.07.1952.

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Freie Presse vom 02.07.1952.

Die „Anständigen“ und die „Asozialen“ - Zweiteilung der Bewohnerschaft in der öffentlichen Wahrnehmung

Die Bewohner:innen der Papenhütte werden Osnabrücker Zeitungsdiskurs jedoch nicht zwangsläufig gleich behandelt. Besonders im Zeitungsdiskurs der frühen 50er Jahre zeichnet sich eine Zweiteilung der Bewohnerschaft der Papenhütte ab: Demnach gebe es in der Papenhütte durchaus „gutwillige“ Menschen, sie seien durch unglückliche Umstände in Obdachlosigkeit geraten, zum Beispiel durch Kinderreichtum und die damit verbundene finanzielle Belastung. Diese „arbeitswilligen und fleißigen Menschen“ hätten durchaus soziale und wohnliche Integration verdient: „Wenigstens ein Drittel ist gut, arbeitswillig und fleißig. […] Und wenigstens ein weiteres Drittel ist an sich noch gutwillig, aber durch den Druck der dortigen Verhältnisse […] in höchste Gefahr gebracht.“

Auf der anderen Seite stünden die „Asozialen und Kriminellen“. Sie hätten die schlechten Zustände an der „Papenhütte“ zu verantworten, seien aufgrund ihrer Kriminalität eine Gefahr für die Bevölkerung Eversburgs und würden die Osnabrücker Armenfürsorge ausnutzen. Man stuft sie als hoffnungslose Fälle ein, man könne sie keinem Vermieter zumuten, und auch ihre Kriminalität und „asoziale Grundeinstellung" könne man ihnen nicht mehr abgewöhnen. Wer genau dieser Gruppe angehört, wird im Zeitungsdiskurs der späten 40er- und frühen 50er Jahre noch offen und explizit benannt: Demzufolge bestehe diese Gruppe hauptsächlich aus den an der „Papenhütte“ ansässigen Sinti. Hier noch mit dem abwertenden Begriff „Zigeuner" belegt, werden die Sinti für die schlechten Verhältnisse an der „Papenhütte“ verantwortlich gemacht. Sie würden hauptsächlich durch ihre Gewalttätigkeit und Kriminalität auffallen: „Gewalt geht hier vor Recht. Die Zigeuner sind am schlimmsten! […] Die Zigeunerkinder stellen eine Elite an Verwahrlosung und Frechheit dar.“

In einem Artikel der Freien Presse (siehe Abbildung links oben) wurden die Sinti sogar noch stärker verunglimpft. Erneut wirft man ihnen Kriminalität vor. Die Eversburger:innen wären immer dann erleichtert, wenn die Sinti sich im Sommer auf Reise begeben würden. Mit Unmut sehe man dort dem Herbst entgegen, wenn die Sinti von ihren Reisen zurückkehren. Dann hielte die Kriminalität wieder Einzug in Eversburg und die Eversburger Polizei müsse erst einmal ermitteln, „was die Burschen inzwischen außerhalb verbrochen haben.“ Auch das „Ausnutzen der Armut“ wird ihnen vorgeworfen: „Die leben ja hier wie die Maden im Speck!“, wird in der Freien Presse die „arbeitssame und fleißige Eversburger Arbeiterbevölkerung“ zitiert. „Mit Mißbehagen“ sehe man dort die teuren Autos, die die Sintis fahren würden.

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Hier ist der "Wohnwagenpark" an der Papenhütte im Jahr 1966 zu sehen. Foto: Kurt Löckmann/Archiv NOZ.

Im Verlauf der 1950er- und 1960er Jahre erfolgt diese Zweiteilung der Bewohnerschaft nur noch implizit. Die Bewohner werden zwar immmer noch in die „Anständigen“ und die „Asozialen“ unterteilt, jedoch werden die Sinti nun nicht mehr offen letzterer Gruppe zugeteilt.

Wie im Osnabrücker Zeitungsdiskurs allerdings implizit die Sinti der „Papenhütte“ angesprochen werden, zeigt ein Artikel aus dem Jahr 1960. Der Artikel berichtet über bauliche Veränderungen an der „Papenhütte“, unter anderem auch über das Zusammenschrumpfen der Wohnwagenansammlung: "Auch der 'Wohnwagenpark' ist stark zusammengeschrumpft. Es wäre zu wünschen, daß er nie wieder wachsen wird." Hier wird sich indirekt das Fernbleiben der Sinti gewünscht, denn es sind die Sinti, die auf dem Gelände der „Papenhütte“ Wohnwagen bewohnt und für mobilen Handel genutzt haben.

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Die Schülerin Ursula wird aufgrund ihres Wohnortes an der Papenhütte von Mitschülern beschimpft. Neue Tagespost vom 06.03.1953.

Die Kinder der „Papenhütte“ sind besonders gefährdet

Besonders sorgt sich die Osnabrücker Öffentlichkeit um die Kinder und Jugendlichen, die in der „Papenhütte“ aufwachsen müssen. Kinder und Jugendliche seien nicht nur suboptimalen wohnlichen und hygienischen Zuständen ausgesetzt, sie würden auch durch den schlechten Einfluss ihrer Umgebung zu Kriminellen erzogen: „In erschreckenden Maße aber ist dort gefährdet die Jugend, die in ihren Entwicklungsjahren unter Bedingungen aufwächst, die nicht mehr als menschenwürdig bezeichnet werden können. […] Wie sollen Kinder zu ordentlichen Bürgern einer Demokratie erzogen werden, wenn sie unter solchen Gefahren aufwachsen.“ Die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen und ein anständiges Leben zu führen, sei ihnen infolge des Rufes ihres Wohnortes verwehrt. Zusätzlich müssten sich an der „Papenhütte“ ansässige Kinder Beschimpfungen ihrer Mitschüler:innen gefallen lassen. In der Neuen Tagespost wird der Fall der Schülerin Ursula geschildert. Sie werde auf ihrem Schulweg „Papenhütte“ gerufen und mit anderen Schimpfwörtern belegt (siehe Abbildung rechts).

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Gelände der Papenhütte 1959. Ausschnitt aus dem Osnabrücker Tageblatt vom 04.12.1959.

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Blick von der Bahnstrecke Osnabrück-Rheine in die Papenhütte aus dem Jahr 1953. Foto: Kurt Löckmann/Archiv NOZ.

„Schandfleck“ und Gefahr für das städtische Image - Die „Papenhütte“ als Ort in der öffentlichen Wahrnehmnung

In den Zeitungsartikeln der 40er, 50er und 60er- Jahre zeichnet sich eine klare Meinung zu der „Papenhütte“ als Ort ab: Die „Papenhütte“ sei ein stadtbekannter Schandfleck. Entsprechend abfällig fällt die äußerliche Beschreibung dieses Ortes aus: „Es ist noch grauenhafter und menschenunwürdiger, als man es sich von draußen vorstellen kann. Das Wort ‚Kulturschande‘ geht einem erst hier in seinem abgrundtiefen Gehalt auf, und man hält es nicht für möglich, daß es so etwas in einer Stadt wie Osnabrück überhaupt gibt. Ich übertreibe wahrlich nicht, wenn ich behaupte, daß die Papenhütte in traurige Konkurrenz mit den allerschlimmsten Slumps berüchtigter Hafenstädte treten kann.“

Die hygienischen Zustände stünden den äußerlichen Eindrücken in nichts nach: „Welche Attacke gegen die Hygiene und Gesundheit der Leute, die hier ‚leben‘ müssen!“ Angeblich habe sich die „Papenhütte“ vor dem Zweiten Weltkrieg mal in einem besseren Zustand befunden. Nach dem Krieg habe sich einfach niemand mehr darum gekümmert. Schuld an der Verwahrlosung seien sowohl die „asozialen“ Bewohner (die „Anständigen“ werden von dieser Kritik ausgenommen) als auch die Stadtverwaltung.

Aus dem äußerlichen Zustand der „Papenhütte“ ergibt sich für die Osnabrücker Öffentlichkeit ein erhebliches Problem für das Image der Stadt. Die Papenhütte sei nicht nur in der Region bekannt, sondern auch bundesweit. Man habe den Namen „Papenhütte“ „mit anrüchigem Beiklang in vielen Städten und Dienststellen der Bundesrepublik [vernommen].“ Dabei bereitet besonders die Nähe zu den Bahnschienen der Strecke Osnabrück-Rheine Anlass zur Sorge. Es sei problematisch, dass Besucher aus dieser Richtung als ersten Eindruck die „Papenhütte“ zu Gesicht bekämen: „Die Besucher, die vom Westen nach Osnabrück kommen, das heißt Holländer und Engländer vor allem, bekommen als ersten Osnabrücker Eindruck ausgerechnet dieses Barackenelend an der Papenhütte geboten. Hat man […] sich überlegt, wie sehr die Repräsentanz unserer Stadt darunter leidet?“

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Vorschläge zur Abschaffung der Papenhütte vom "Verein zur Wahrung berechtigter Interessen in Osnabrück-Eversburg". Neue Tagespost vom 13.03.1953.

„Papenhütte? Bitte Nein!“ - Forderung nach Abschaffung der „Papenhütte“

Wenn den zahlreichen Zeitungsartikel über die „Papenhütte“ aus den Nachkriegsjahrzehnten eines gemein ist, so ist es der darin formulierte Wunsch, die „Papenhütte“ gänzlich abzuschaffen. Dieser Wunsch ist eine Konstante im öffentlichen Diskurs Osnabrücks bis hin zum tatsächlichen Abbruch der Papenhütte im Jahr 1985. Die „Papenhütte“ wird als ernsthaftes Problem wahrgenommen, welches das Handeln der Stadtverwaltung zwingend notwendig mache. Folglich werden eine Reihe von Forderungen an die Stadtverwaltung gestellt, die kurzfristige sowie langfristige Maßnahmen vorsehen.

Kurzfristig solle das Eversburger Polizeirevier verstärkt werden, ein Zuzugsstopp verhängt werden, der bauliche Zustand der Baracken sowie der gesundheitliche Zustand der Bewohner überprüft werden. Langfristig wünscht man sich ein dezentrales Umsiedlungsprogramm für alle Bewohner:innen ohne Vorstrafen und den Abbruch der Baracken an der „Papenhütte“. All dies solle aus folgenden Gründen geschehen: „1. Für die zweifellos Gutwilligen. 2. Zur Rettung der Gefährdeten 3. Zum Schutz der Jugend 4. Zum Schutz der Bevölkerung 5. Für das Ansehen der Stadt.“ Auch wenn man dabei solchen helfe, „die es nicht besser haben wollen.“