Wahrnehmung und Diskurs

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"Das sind doch alles keine 'Gastarbeiter' mehr, das sind schon 'Dauer-Ansiedler' hier bei uns geworden!"1 So hieß es in einem Schreiben eines Bürgers an den Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor im Jahr 1979. Dabei bezog sich der Verfasser auf einen zuvor in der NOZ erschienen Artikel über "Gastarbeiter:innen" in Osnabrück und hetzte gegen die ausländischen Arbeitnehmer:innen, die er als "Pöbel" und "Analphabeten", die sich "mit ihren 5 oder mehr Kindern hier festgesaugt" hätten, verunglimpfte.2 Dieser Artikel zeigt exemplarisch, dass es in den 1970er Jahren in Osnabrück durchaus auch öffentlich ausgetragenene kontroverse sowie auch rassistische Debatten um die längerfristige Präsenz der sogenannten "Gastarbeiter:innen" in der Stadt gab. Es lassen sich mehrere Artikel in den Osnabrücker Tageszeitungen aus dieser Zeit finden, in welchen die 'Ausländer' und 'Ausländerkinder' sowie ihre Situation in Osnabrück problematisiert werden.3

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Bericht in der Lokalzeitung: Ein "Herumlungern" verhindern. (Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, 24.09.1979)

Dabei standen jedoch weniger Beschwerden über die Anwesenheit der "Gastarbeiter:innen" und angebliche durch diese verursachte und mitgebrachte Probleme im Vordergrund, sondern zumeist die friedliche Koexistenz und Vorschläge für ein besseres Zusammenleben. Vor allem die Sprachbarrieren, die Wohnraumbeschaffung sowie die Bildung und Erziehung der Kinder der ausländischen Arbeitnehmer:innen zählten zu den am häufigsten aufgegriffenen und diskutierten Themen.

Wie im vorliegenden Zeitungsartikel "Ein Herumlungern verhindern" deutlich wird, gab es neben Problemen der Beschäftigungslosigkeit aufgrund fehlender Arbeitserlaubnisse sowie (Weiter-)Bildungsangebote, die besonders Jugendliche betrafen, spätestens ab Ende der 1970er Jahre auch eine große Wohnungsnot für ausländische Arbeitnehmer:innen in Osnabrück: Durch die Gründung der Universität im Jahr 1974 entwickelte sich Osnabrück immer mehr zu einer Student:innenstadt, wodurch es zu vermehrten WG-Gründungen kam. Dies verschärfte die Probleme ausländischer Arbeitnehmer:innen, Wohnungen zu finden. Zwei- bis Sechs-Zimmer-Wohnungen, die zuvor an ausländische Arbeitnehmer:innen und ihre Familien vermietet worden waren, wurden nun vermehrt an Student:innen oder nur zu sehr hohen Mieten an ausländische Arbeitnehmer:innen vermietet. Zusätzlich weigerten sich die der Stadt unterstellten Wohnungsbaugesellschaften, mehr als 15% ihres Wohnraums an "Gastarbeiterfamilien" zu vermieten, um eine sogenannte "Ghettobildung" zu verhindern.4

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Bericht in der Neuen Osnabrücker Zeitung im Jahr 1975 anlässlich des "Tages des ausländischen Mitbürgers". (Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, Fotograf: Hartwig Fender)

Die öffentliche Kontroverse spielte sich dabei nicht nur in den Osnabrücker Tageszeitungen und Schreiben der Bürger:innen ab, sondern war auch Thema öffentlicher Bürger:innengespräche, Sitzungen und Forumsdiskussion, bei denen Vertreter:innen der Kommunen mit Sprecher:innen der spanischen, portugiesischen und türkischen Arbeitnehmer:innen über die Probleme im Zusammenleben diskutierten und versuchten, diese gemeinsam zu bewältigen. Im Zuge dieser Gespräche wurden unter anderem die großen Schwierigkeiten der ausländischen Arbeitnehmer:innen mit den Auswüchsen der deutschen Bürokratie ersichtlich.6 Weiter zeigen die bei der Forumsdiskussion zum "Tag des ausländischen Mitbürgers" angesprochenen Schilder mit der Aufschrift "Auf die Idee, dass wir auch deutsche Freunde suchen, ist bisher noch niemand gekommen"7, dass unter den Zuwander:innen auch Unmut über mangelnde Maßnahmen zur Förderung des Kontakts und des gesellschaftlichen Miteinanders zwischen Eingesessenen und Neubürger:innen bestand.

Aus diesen Gründen wurde bei der genannten Diskussion auch um mehr Toleranz und Offenheit der Osnabrücker Bürger:innen gegenüber der Kultur und Religion der ausländischen Arbeitnehmer:innen und ihren Familien gebeten.8 Die Öffentlichkeitswirksamkeit dieses Themas zeigte sich ebenfalls bei einer öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses vom 12. November 1979, in der sich mit den in den Zeitungsartikeln thematisierten Problemen beschäftigt wurde: Vor allem wurden die Sprachprobleme thematisiert, die sich insofern negativ auf die Gesundheit auswirken könnten, als es durch fehlende Sprachkenntnisse erschwert würde, eine richtige Diagnose zu stellen.9

Des Weiteren wurde die Einrichtung einer Stelle für eine türkische Ärztin und Beraterin in der Beratungsstelle Pro Familie diskutiert, da "viele türkische Frauen Kinder kriegen [sic!] die gar nicht geplant waren."10 Da man der Ansicht war, dass niemand gegen den Wunsch der Eltern zur Welt kommen solle, wollte der Gesundheitsausschuss auf diese Weise der hohen Geburtenrate unter den ausländischen Arbeitnehmer:innen entgegenwirken. Hierbei manifestiert sich das rassistische Stereotyp der vermeintlich unkontrolliert und zu viele Kinder bekommenden Einwandernden aus dem Süden; im Sitzungsprotokoll findet sich zu diesem Punkt die Anmerkung "Nur die Tiere kommen zur Welt ohne Absicht ihrer Eltern".11 Des Weiteren bekundete der Gesundheitsausschuss die Ansicht, dass fortan diejenigen ausländischen Arbeitnehmer:innen stärker zu schützen seien, die an gesundheitsschädlichen Plätzen arbeiteten, da andernfalls langfristig höhere Kosten für die Krankenkassen zu erwarten seien. Dies sollte durch eine maximale Beschäftigungsdauer von drei Jahren an der jeweiligen Arbeitsstelle erfolgen.12

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Inhaltlich verantwortlich: Yvonne Rehling & Adrienne Schütte

1 NLA OS, Dep 3 c, Akz. 2012/090 Nr. 91: Schreiben an den Osnabrücker Oberbürgermeister Weber. 12. Juni 1979.
2 Ebd.
3 Vgl. NLA OS, Dep 3 c, Akz. 2012/090 Nr. 91: Kinder ausländischer Arbeitnehmer in einer Schule für Lernbehinderte. 1979.
4 Vgl. NLA OS, Dep 3 c, Akz. 2012/090 Nr. 91: Ein "Herumlungern" verhindern. NOZ, 24. September 1979.
5 Vgl. ebd.
6 Vgl. NLA OS, Dep 3 c, Akz. 2012/090 Nr. 91: Tag des Ausländischen Mitbürgers. 1975.
7 Ebd.
8 Vgl. NLA OS, Dep 3 c, Akz. 2012/090 Nr. 91: Kleinen Ausländern bei den Schulaufgaben helfen. NOZ, 13. Dezember 1979.
9 Vgl. NLA OS, Dep 3 c, Akz. 2012/090 Nr. 91: Protokoll der öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses. 12. November 1979.
10 Ebd.
11 Ebd.
11 Vgl. ebd.