Zeitzeugen berichten...

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Ein Bild aus der Karmann-Post von 1964, welches spanische Migranten bei ihrer Freizeitbeschäftigung zeigen soll (Quelle: Reichelt, Kurt: Heimweh in Osnabrück. In: Karmann-Post. H. 30 (1964), S. 31)

In der öffentlichen und medialen Auseinandersetzung mit den Anwerbeabkommen der Bundesrepublik und der daraus folgenden Arbeitsmigration, die auch die Geschichte der Stadt Osnabrück prägt, werden zuvorderst die Narrative der Mehrheitsgesellschaft wirksam. Ebenso wird die Geschichte dieser Arbeitsmigration im dominanten öffentlichen Diskurs vor allem als eine kollektive Geschichte erzählt, hinter der die individuellen Erfahrungen der Arbeitsmigrant:innen unsichtbar bleiben. Besonders selten finden die Arbeitsmigration und die damit verbundenen Einzelschicksale einen Platz in den historischen Darstellungen und Erzählungen zur Stadt Osnabrück und seinen Menschen: So werden beispielsweise in einer 2001 erschienen Chronik über die letzten 100 Jahre der Firma Karmann die ausländischen Mitarbeiter:innen mit keinem Wort erwähnt.1 Bis heute lassen sich nur wenige öffentliche Berichte von und über Menschen finden, die infolge der Anwerbeabkommen nach Osnabrück kamen und sich hier dauerhaft niederließen.

Für diese Ausstellung war es uns jedoch wichtig, diesen Menschen einen Raum zu geben, um ihre Lebensgeschichte und ihre Erfahrungen zu erzählen. Damit soll auch eine einseitige Betrachtung der Thematik aus der Außenperspektive verhindert werden.

Es gestaltete sich anfangs nicht ganz einfach, Zeitzeugen zu finden. Dies hatte verschiedene Gründe. Ein Großteil der Menschen, die in den 1950er bis 70er Jahren im Zuge der Anwerbeabkommen nach Osnabrück kamen, blieb nur für einen gewissen Zeitraum in der Stadt und kehrte schließlich in seine Heimatländer zurück. Andere Menschen zogen innerhalb Deutschlands mehrfach um. Da das erste Anwerbeabkommen nun schon fast 67 Jahre zurückliegt, gibt es außerdem immer weniger lebende Zeitzeugen.

Schließlich fanden sich drei Zeitzeugen, die sich bereiterklärten, ihre Lebensgeschichte und ihre Erfahrungen in Osnabrück mit uns zu teilen. Wir wählten die Form eines narrativen Gruppeninterviews, so dass die Interviewten in einer ersten Phase durch eine offene Erzählaufforderung und ohne Interventionen seitens der Interviewenden selbst die Schwerpunkte ihrer Erzählungen festlegen konnten.2 Erst in einer zweiten Phase wurden vertiefende Nachfragen gestellt.

Bevor die einzelnen Zeitzeugen vorgestellt werden, wird im folgenden Kapitel ein Überblick über das Vereins- und Gemeindeleben der Spanier:innen in Osnabrück gegeben. Dieses kulturelle Leben hat auch für die Zeitzeugen, die nicht nur als "Arbeiter:innen" ihr Leben in Deutschland gestalteten, einen besonderen Platz in ihrer Erinnerung an ihre Zeit in Osnabrück.

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Inhaltlich verantwortlich: Carolin Mülder

1 Vgl. Wilhelm Karmann GmbH (Hg.): 100 Jahre Karmann. Eine Erfolgsgeschichte. Osnabrück 2001.
2 Vgl. Rosenthal, Gabriele: Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung. Weinheim/Basel 2015.