Die "Weidenstraße 15": Eine Projektvorstellung

Die digitale Ausstellung "Ankunftsquartier Weidenstraße? Ein Beitrag zur Osnabrücker Migrationsgeschichte" ist das Ergebnis eines seminargebundenen Forschungsprojekts von Studierenden am Historischen Seminar (Abteilung Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (NGHM)) an der Universität Osnabrück im Wintersemester 2021/22.

Die Geschichte Osnabrücks ist im Hinblick auf Migration und den durch Migration induzierten gesellschaftlichen Wandel in der Stadt durch einen teils noch recht dünnen und lückenhaften Wissens- bzw. Forschungsstand geprägt. Im Rahmen des von Prof. Dr. Christoph Raß geleiteten Seminars "Transformation einer Stadtgesellschaft: Internationale Migration und Osnabrück von der Zwangsarbeit zur 'Gastarbeit'" erhielten Studierende die Möglichkeit, einen kleinen Teil der Osnabrücker Stadt- und Migrationsgeschichte des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten. Anhand eines ausgewählten Ortes, den Migrant:innenunterkünften in der Weidenstraße 15 im Osnabrücker Stadtteil Wüste, befassten sich die Studierenden mit Zwangsarbeit, "Gastarbeit" und den damit verbundenen Migrationsbewegungen in Osnabrück. Dabei lag der Fokus sowohl auf der Veränderung des Sozialprofils der Bewohner:innen der Weidenstraße 15 als auch auf den baugeschichtlichen Überformungen des untersuchten Grundstücks. So konnten die Zwangsmigration infolge des Zweiten Weltkriegs, die Arbeitsmigration der 1950er bis 1970er Jahre und damit verbundene Veränderungen der Osnabrücker Stadtgesellschaft anhand eines konkreten Ortes tiefgehend analysiert werden.

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Karteikarten der Ausländermeldekartei aus dem Bestand des Niedersächsischen Landesarchives Osnabrück. (Quelle: NLA OS: Dep 3 c, Akz. 2019/83 Nr. 1 Aufn. 1809, Nr. 1 Aufn. 0657 u. Nr. 26 Aufn. 0747)

Ausgangspunkt dafür bildete eine quantitative Analyse der Daten aus der Osnabrücker "Ausländermeldekartei", die sich im Bestand des Niedersächsischen Landesarchivs Osnabrück (NLA OS) befindet: In dieser Kartei sind Informationen zu rund 70.000 Personen verzeichnet, die zwischen ca. 1930 und 1980 in Osnabrück lebten, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Im Zuge der Auswertung der Kartei ist die Weidenstraße 15 im Stadtteil Wüste als größte in Osnabrück existierende Unterkunft für "Gastarbeiter" in den Fokus gerückt. Die Studierenden analysierten die durch Zu- und Fortzüge von Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern induzierten Veränderungen der sozialen Zusammensetzung der Bewohnerschaft in den 1960er/1970er Jahren.

Unter der Adresse Weidenstraße 15 befand sich in den 1960er/1970er Jahren ein stillgelegtes Fabrikgelände der Firma Karmann. Nach der Verlegung des Karmannschen Betriebsstandortes in den 1950er Jahren an die Neulandstraße in Osnabrück fielen die ehemaligen Fabrikhallen an der Weidenstraße nicht sofort dem Abriss zum Opfer. Vielmehr nutzte Karmann das Gelände in den 1960er/1970er Jahren, um dort die bei ihnen beschäftigten "Gastarbeiter" einzuquartieren. Östlich angrenzend lag das Betriebsgelände der Firma Kromschröder mit der Adresse Jahnplatz 6. Durch Archivrecherchen im NLA OS stellte sich heraus, dass der südliche Teil des Grundstücks der Weidenstraße 15, der an die Jahnstraße grenzte, der Firma Kromschröder gehörte und zusammen mit dem Gelände des Jahnplatz 6 eine Einheit bildete. Während des Zweiten Weltkriegs wurde dieser südlich zur Jahnstraße gelegene Teil auch von Karmann genutzt: Beide Firmen – Karmann und Kromschröder – errichteten dort Baracken für Zwangsarbeiter:innen, die in den Firmen arbeiteten. Aus diesem Grund wurde der Jahnplatz 6 in die Analyse miteinbezogen.

So verfolgten die Studierenden neben den sozialgeschichtlichen Fragestellungen bezüglich der Bewohner:innen auch baugeschichtliche Analysen, die ihren Blick auf deren Wohnraum legen: Anhand von Stadtplänen, Luftbildern, Archivalien und Zeitzeugengesprächen rekonstruierten und analysierten die Studierenden die baulichen Transformationen der Weidenstraße 15 sowie des unmittelbar angebundenen Jahnplatzes 6.

Ortstermin an der Weidenstraße

Ortstermin mit Julio Molina Rodríguez an der Weidenstraße. (Quelle: NGHM @ Universität Osnabrück)

Die Ergebnisse sind Teil dieser digitalen Ausstellung geworden, die folgender Gliederung folgt:

Da die durchgeführten quantitativen Analysen auf den Daten in der Osnabrücker Ausländermeldekartei beruhen, wird zunächst die Kartei und das damit verbundene Projekt vorgestellt.

Die nächsten einführenden Kapitel geben einen Überblick über die Zwangs- sowie "Gastarbeit" in Deutschland und speziell in Osnabrück, bevor die beiden näher betrachteten Firmen Karmann und Kromschröder in der Weidenstraße bzw. am Jahnplatz vorgestellt werden und die bauliche Transformation der von diesen Firmen genutzten Unterkünfte und Grundstücke skizziert wird.

Das darauffolgende Kapitel beinhaltet eine Sozialprofilanalyse der Bewohner:innen der Weidenstraße 15. Exemplarisch wird anhand von drei damaligen Bewohnern und deren Angehörigen aufgezeigt, welch unterschiedliche Lebenswege Migrant:innen gingen.

Schlussendlich erfolgt ein Exkurs in die Migrationsgeschichte von drei in Osnabrück lebenden spanischen Migranten. Eine Gruppe von Studierenden führte mit ihnen Zeitzeugengespräche, deren Ergebnisse auch an anderen Stellen in die Ausstellung einfließen.

Osnabrück im März 2023

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Inhaltlich verantwortlich: Yvonne Rehling & Adrienne Schütte & Frank Wobig, B.A.

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Die Ausstellung wurde mit dem Open-Source-Tool "Omeka Classic" erstellt. Omeka wurde vom Roy Rosenzweig Center for History and New Media der George Mason University in Washington D.C. entwickelt und birgt für Forschende sowohl die Möglichkeit, Material zu sammeln und zu archivieren als auch dieses in Online-Ausstellungen für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 

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