Raissa Schaldybina - Eine Zeitzeugin der Zwangsarbeit in Osnabrück

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Raissa Schaldybina spricht über ihre Zeit als Zwangsarbeiterin bei der Firma Karmann. (Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, 19.09.2002, Fotograf: Uwe Lewandowski)

Raissa Schaldybina ist eine von 400 ehemaligen Zwangsarbeiterinnen, die in den Jahren 1942 bis '45 auf dem damaligen Fabrikgelände von Karmann an der Weidenstraße Zwangsarbeit verrichten mussten.

Die heute auf der Krim lebende Raissa Schaldybina kehrte im September 2002 für eine Woche nach Osnabrück zurück, um sich mit Vertreter:innen der Stadt und der Firma Karmann zu treffen.1 Ebenfalls anwesend war Michael Gander2 von der Initiative Augustaschacht, aus der im Jahr 2008 die Gedenkstätte Augustaschacht hervorging. Medial wurde Schaldybinas Aufenthalt von der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) begleitet.

Raissa Schaldybina berichtete, dass sie 1942 als Siebzehnjährige gemeinsam mit anderen Mädchen und jungen Frauen von der Krim in einen Viehwaggon gepfercht und nach Osnabrück verschleppt wurde. Als sie nach der mehrtägigen Reise die geschlossenen Tore und die kranken Frauen in den Baracken des Zwangsarbeiter:innenlagers von Karmann sah, sei ihr bewusst geworden, "dass sie ihre Freiheit verloren hatte."3

Raissa Schaldybina und weitere Zwangsarbeiter*nnen

Das Foto stammt aus dem Privatbesitz Schaldybinas und zeigt sie mit anderen Zwangsarbeiter:innen vor einer Baracke, die sich vermutlich auf dem Kromschrödergelände befand. (Quelle: Raissa Schaldybina/Sammlung der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht)

In Gefangenschaft habe sie täglich zwölf Stunden an Drehbank und Bohrmaschine in der Produktion von Flugzeugkabinen arbeiten müssen. Dafür habe sie keinen Lohn erhalten. Als Nahrung habe es lediglich etwas Brot und Spinatbrei gegeben.

Im Lager habe Schaldybina unter starken Fußschmerzen gelitten, zusätzlich erkrankte sie an Tuberkulose. Das Schlimmste sei jedoch das Lagerregime gewesen, das auf jeden Regelverstoß mit Misshandlungen reagiert habe.4 Auch berichtete sie von der in dieser Ausstellung bereits thematisierten schlechten medizinischen Versorgung in den Zwangsarbeiter:innenlagern Osnabrücks. Archivdokumente belegen Schaldybinas Schilderungen über die Missstände in den Lagern. Ebenso konnten ihre Aussagen über die Grausamkeit der Lagerleitung bei Karmann durch Aussagen anderer Zeitzeug:innen bestätigt werden.5 Ab März 1945 sei für Schaldybina eine verstärkte Unruhe im Lager zu spüren gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht mehr zu übersehen, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden.

Noch bevor die Alliierten das Lager erreichten, wurden die Zwangsarbeiter:innen vom Wachpersonal und der Gestapo aus dem Lager geführt. Wohin sie gebracht werden sollten, ist Frau Schaldybina bis heute nicht bekannt. Sie habe sich mit zwei weiteren Zwangsarbeiterinnen noch während des Marsches abgesetzt. Unterschlupf hätten sie in den folgenden fünf Tagen in einem Haus gefunden, in dem sich auch einige Italiener aufgehalten hätten, die in der Landwirtschaft tätig gewesen seien. Nach einigen Tagen seien die drei Zwangsarbeiterinnen dann in das Lager von Karmann zurückgekehrt.6 Nach dem Krieg wurde Raissa Schaldybina in einem Lager für "Displaced Persons" in der Winkelhausen-Kaserne untergebracht.7

                                        

Inhaltlich verantwortlich: Ron Wilke

1 Vgl. o.V.: Schwere Erinnerungen werden wach. Ehemalige Karmann-Zwangsarbeiterin wurde im Friedessaal empfangen. In: Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ). (17.9.2002).
2 Vgl. ebd.
3 Vgl. o.V.: Karmann baute damals Flugzeuge. Ehemalige Zwangsarbeiterin berichtet von ihren Kriegserlebnissen. In: Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ). (19.9.2002).
4 Vgl. ebd.
5 Vgl. Gander, Michael: Lagerwesen und Zwangsarbeit in Osnabrück. Die Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges. In: Heese, Thorsten (Hrsg.): Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück. Osnabrück 2015, S. 324-352, hier S. 331.
6 Vgl. o.V.: Eine weiße Flagge war die Rettung. Raissa Schaldybina kam nach dem Krieg als "Displaced Person" in die Kaserne. In: Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ). (19.9.2002).
7 Vgl. ebd.