Die öffentliche Wahrnehmung der „Papenhütte“ in der Zwischenkriegszeit (1920er-1930er)
In den 1920er Jahren war die „Papenhütte“ unter ebendiesem Namen noch kein Thema in der Osnabrücker Lokalpresse. Berichte über die Armenfürsorge liegen zwar vor, doch der Ort, der im Laufe der Zeit zum Synonym für Kriminalität und Armut gemacht wurde, findet erst im darauffolgenden Jahrzehnt mediale Repräsentation.
Für die Berichterstattung mit direktem Bezug zur „Papenhütte“ liegen aus den 1930ern drei Artikel vor. Alle wurden im Osnabrücker Tageblatt zwischen Ende 1937 und Mitte 1938 abgedruckt und behandeln annähernd das gleiche Thema: die Schaffung von neuem Wohnraum in so bezeichneten „Barackenvierteln“ in unterschiedlichen Teilen der Stadt. Deutlich sind hier ideologisch aufgeladene Begriffe des Nationalsozialismus herauszulesen, zudem eine klare Trennung zwischen der „schlechten“ vergangenen und der nun neu anbrechenden, Besserung versprechenden Zeit unter dem NS-Regime. Inwiefern die „Papenhütte“ dabei als Zeugnis der Vergangheit präsentiert wird, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Neue Baumaßnahmen für Osnabrück - im Sinne des NS
Am 17. Oktober 1937 berichtet ein unbekannter Verfasser, dass für die Gebäude an der Wörthstraße, im Schinkel, am Blumenhaller Weg in der Weststadt und in Eversburg – womit wahrscheinlich die „Papenhütte“ gemeint ist – nun konkrete Pläne zur Umgestaltung vorlägen. Schuld am Entstehen dieser Siedlungen prekären Wohnraums seien, so der Autor, die „schädlichen“ Vorstellungen, gar „der alte Irrtum“ von Freiheit und Gleichheit, die im Zuge der Novemberrevolution 1918 auch Osnabrück erfasst hätten. Ein dunkles Bild vergangener Zeiten, das mit dem Einzug des Nationalsozialismus endgültig beseitigt werden könne, da Funktionäre „die Hoffnungslosigkeit auch aus den Winkeln der Baracken scheuchten“.
Kritik am Vorgehen bei den Baumaßnahmen – trotz des neuen Häuserbaus würden die alten Baracken immer noch stehen – wird im Artikel mit der Aussage begegnet, dass zunächst neuer Wohnraum geschaffen werden sollte, bevor Gebäude abgerissen würden. Am Blumenhaller Weg seien bereits neue Häuser gebaut worden, nach deren Vorbild auch an anderen Stellen in der Stadt gebaut werden solle. Sehr deutlich ist im Verlauf des Artikels zu erkennen, dass die Neuerrichtungen nur für einen bestimmten Teil der Bevölkerung gedacht sind: Demnach sollten Häuser entstehen, „die würdig sind, deutschen Menschen Obdach zu geben […]“. Angeschlossen an diesen Artikel ist ein Kommentar von Erwin Kolkmeyer, seinerzeit NSDAP-Ortsgruppenleiter der Osnabrücker Altstadt, Ratsmitglied und Inhaber des gleichnamigen Uhrengeschäfts. Inhaltlich unterscheidet sich dieser Kommentar kaum von dem vorangegangenen Artikel: Die Baracken seien Denkmäler vergangener Zeiten, erst der Nationalsozialismus habe „gesunde“ Wohnungen hervorgebracht, die bald in der Stadt verteilt errichtet werden sollten. Dass Kolkmeyer als NSDAP-Funktionär in dieser Ausgabe des Osnabrücker Tageblatts einen Text veröffentlichen durfte, zeugt von der erfolgreichen Gleichschaltung der Presse durch den Nationalsozialismus und lässt bereits hier ein Narrativ von Stigmatisierung - gegenüber als nicht-deutsch bezeichneten Menschen - erkennen, dass sich auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht vollständig auflösen sollte. Kolkmeyers Rede ist im Artikel links (vom 17.10.1938) in der mittleren Spalte abgedruckt.
Die „Papenhütte“ als negative Vergleichsfolie
Kein halbes Jahr später thematisiert ein zweiter Artikel die städtischen Baumaßnahmen und deren Fortschritt. Dennoch bleibt eine kurze Revue des vorherigen – und zum Teil noch bestehenden – Zustands nicht aus. Der unbekannte Autor berichtet am 12. März 1938, die „ungeheure Wohnungsnot“ habe dazu geführt, dass zahlreiche Familien in eine Notlage gekommen seien und beispielsweise in die „Papenhütte“ hätten umziehen müssen. Diese und andere prekäre Wohnungslagen seien „zu wahren Schandflecken im Stadtbild“ geworden, die von „einer heute unter Adolf Hitlers Führung überwundenen unseligen Vergangenheit“ berichteten. Im Unterschied zum Artikel aus dem Oktober 1937 wird in diesem Artikel erwähnt, wer die Baumaßnahmen überhaupt in die Wege geleitet hat: Bereits im April 1937 wurde die Wohnungsbaugesellschaft in Osnabrück gegründet, die dann zunächst am Blumenhaller Weg Neubauten errichten ließ.
Interessant ist an dieser Stelle, dass neben der akuten Wohnungsnot in der Stadt auch der unschöne Anblick der Baracken, der sich Einreisenden im Auto bieten würde, ein Grund für den Bau neuer Häuser zu sein scheint. Diese sollten die etwas abseits der großen Straße am Blumenhaller Weg gelegenen, noch bestehenden Baracken verdecken. Zur Verschönerung seien Vorgärten geplant. Insgesamt wird im Artikel erneut das Bild des Gegensatzes gezeichnet zwischen der Zeit vor dem Nationalsozialismus und der damaligen Gegenwart, zwischen der Zeit der „hässlichen Baracken“ und der schönen, neu errichteten Wohnungen durch die Wohnungsbaugesellschaft. Passend dazu zeigt das mit dem Artikel gedruckte Foto (s. am rechten unteren Rand) beide Gebäudearten nebeneinander. Den Abschluss des Artikels bildet die Begrüßungsrede des Vermessungsdirektors Peters bei der Einweihung und Präsentation der Häuser am Blumenhaller Weg: Wie auch der Staat unter Führung der Nationalsozialisten kinderreiche Familien fordere, so wolle die Baugesellschaft auf den ersten Wohnungsbau weitere folgen lassen, so Peters. Die Miete sei bewusst so niedrig festgelegt worden, „daß sie von den Volksgenossen, die diese Wohnungen beziehen sollen, getragen werden“ könne.
Die „Papenhütte“ dient in diesem Artikel klar als Negativbeispiel. Sie sei ein Relikt vergangener Tage, das ein unschönes Bild von Osnabrück zeichne. Zwar sollen an verschiedenen Orten in der Stadt anstelle einiger Baracken Häuser entstehen, es ist jedoch nicht die Rede davon, dass dies auch an der „Papenhütte“ geschehen solle. Auch wird unmissverständlich deutlich, wer die neuen Wohnungen beziehen dürfe: „Volksgenossen“, Mitglieder der sogenannten deutschen „Volksgemeinschaft“. Ausgeschlossen sind damit alle Osnabrücker Bewohner:innen der „Papenhütte“, die nicht zur NS-Volksgemeinschaft gehörten, also politisch Oppositionelle, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, Homosexuelle sowie Sinti und Roma.
Offene Diskriminierung und Pauschalisierung der Bewohner:innen
Ein dritter, am 12. Juni 1938 erschienener Artikel bezeugt, dass an der „Papenhütte“ schließlich doch räumliche Umstrukturierungen - wenn auch deutlich anders als beispielsweise am Blumenhaller Weg - vorgenommen werden sollten. Hierin wird allein die „Papenhütte“ thematisiert, die Konnotation des Inhalts ist bereits am Titel abzulesen: „Neuer Weg der Wohnwirtschaft: Eine geschlossene Siedlung für Asoziale.“ Auch die Untertitel sprechen für die negative Darstellung, die die Papenhütte im Artikel erfährt: „Ein Wohnblock an der Papenhütte. – Erziehung zur Arbeit und Mietezahlung. – Beseitigung der Baracken an der Papenhütte.“
Zu Beginn wird wiederholt darauf eingegangen, welch schlechtes Bild die Siedlung der „Papenhütte“ in Eversburg böte und dass sich daran vor allem Zugreisende stören würden. Nun sei jedoch – wie schon an anderen Stellen in der Stadt – eine Neubebauung mit Steinhäusern statt der dortigen Holzbaracken geplant, wobei die bereits bestehenden Steinhäuser erhalten bleiben sollten. Wer dann in die neuen Häuser einziehen dürfe, sei noch nicht eindeutig. Mit Sicherheit lässt sich jedoch dem Artikel entnehmen, dass die meisten bisherigen Bewohner:innen der „Papenhütte“ davon ausgeschlossen werden sollten.
Unmissverständlich wirkt der anschließende Absatz, der mit „70-80 Wohnungen für asoziale Elemente“ überschrieben ist und in dem die nationalsozialistische Vorstellung von Arbeit, Lohnerwerb und sozialer Fürsorge explizit sichtbar wird. Gleichzeitig klingen bereits hier Tendenzen zur lagerähnlichen Konzentrierung dieser im NS-Staat ausgeschlossenen Menschen an: „Solche Menschen sollen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten einer geregelten Arbeit zugeführt werden und zu diesem Zwecke in einer Wohngemeinschaft zusammengefaßt werden.“ Vorbild für diese „Wohngemeinschaft“ sei eine entsprechende Siedlung in Bremen.
Offensichtlich sollen aber die neu zu bauenden Häuser nicht die Holzbaracken an der „Papenhütte“ ersetzen, denn das geplante Neubaugebiet ist zum Zeitpunkt des Artikels noch ein Roggenfeld, wenngleich in Nähe zur „Papenhütte“. Spätestens beim Lesen des vorletzten Absatzes wird deutlich, dass die Neubauten nicht zur humaneren Unterbringung der „Papenhütte“-Bewohner:innen dienen sollen: Mit Nachdruck und um falsche Informationen oder Gerüchte rund um die Bauplanungen zu korrigieren, wird im Artikel darauf hingewiesen, „daß es sich bei Schaffung des neuen Wohnblocks durchaus nicht um Ersatzgestellung von Wohnraum für die heutigen Bewohner der Papenhütte handelt (deren anderweite Unterbringung noch geregelt werden muß), sondern um einen neuen Weg, asoziale Menschen aus der ganzen Stadt zur Erfüllung ihrer Pflichten und Aufgaben in der Volksgemeinschaft anzuhalten.“ Der bereits stigmatisierte Ort rund um die „Papenhütte“ soll somit ein Ort der weiteren Ausgrenzung, Konzentrierung und Diskriminierung von Menschen werden, die nicht zur "Volksgemeinschaft" gehören.
Alle drei Artikel geben in ihrer Wortwahl und Stilistik der „Papenhütte“ und ihren Bewohner:innen eine negative Konnotation, wiederholen entsprechend aufgeladene Schlagwörter und bedienen sich an den durch den Nationalsozialismus geprägten Termini. Besonders deutlich wird die stigmatisierende Darstellung durch die Kontrastierung und das In-Beziehung-Setzen zwischen der Vergangenheit und zeitgenössischer Gegenwart. Die „Papenhütte“ wird so zum Symbol für Rückständigkeit und (politische) Fehlentscheidungen in der den Nationalsozialisten verhassten Weimarer Demokratie, die unter dem Nationalsozialismus keinen Fortbestand haben sollten.