Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung (ca. 1970-1985)
Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung - ein langsamer Prozess
In den 1970er Jahren setzt ein Prozess ein, an dessen Ende eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung der „Papenhütte“ stand, besonders gegenüber den Sinti. Da, wie unter anderem auch der Zeitzeuge Mario Franz berichtet, im späteren Bestehenszeitraum kaum noch „Deutsche“ in der „Papenhütte“ lebten, erübrigte sich auch die Zweiteilung der Bewohnerschaft in „gutwillig“ und „asozial“ in der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft allmählich. Viele der vermeintlich „Gutwilligen“ werden wohl ab Mitte der 1950er Jahre schon von der Stadtverwaltung umgesiedelt. Die Deutschen, die im Anschluss dennoch in der „Papenhütte“ lebten, waren laut Mario Franz wohl hauptsächlich suchtkranke oder invalide Menschen.
Die Veränderung hin zu einer wohlwollenderen Sicht auf die „Papenhütte“ ist ein Prozess und kein singuläres Ereignis, soviel zeigt im besonderen Maße der folgende Zeitungsartikel der Neuen Osnabrücker Zeitung aus dem Jahr 1971. Der Artikel soll „Streiflichter“ aus den Leben der Bewohner der „Papenhütte“ ermöglichen, dazu interviewt der Reporter einige der Ansässigen. Nicht zuletzt in der Berichterstattung über die an der „Papenhütte“ ansässigen Sinti besitzt der Artikel eine gewisse Ambivalenz. Man hat eigentlich den Eindruck, der Autor wolle ein differenzierteres Bild von den Sinti der „Papenhütte“ abgeben, jedoch kommt auch die Berichterstattung nicht ohne die Reproduktion gewisser Stereotypen aus. Zum einen wird hier noch der abwertende Begriff „Zigeuner“ benutzt, der beispielsweise in den Artikeln der 1980er Jahre zugunsten der diskriminierungsfreien Selbstbezeichnung „Sinti“ ersetzt wird. Zum anderen wird hier ein Voruteil wiedergegeben, das schon in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1952 Anwendung fand. Demnach würden die Sinti sich Luxusgüter wie teuere Autos leisten, während sie auf der anderen Seite von der Armenfürsorge Osnabrücks profitieren. Damit wird impliziert, dass die Sinti die Osnabrücker Armenfürsorge ausnutzen, da sie mit anderen Prioritäten nicht auf die Obdachlosenfürsorge angewiesen wären: „Anmerkung: Gabriel Heusinger [ein in dem Artikel interviewter Sinti, Name anonymisiert] zahlt seine Nutzungsentschädigung für die Wohnräume nicht. Sein PKW, sechszylindrig, und sein Wohnwagen können nicht gepfändet werden [...]. Eine Möglichkeit wäre eine Taschenpfändung. 'Doch', so ein Sozialarbeiter der Stadt Osnabrück, 'versuchen Sie mal bei einem Zigeuner eine Taschenpfändung durchzuführen'.“ Es zeigen sich also durchaus noch Kontinuitäten zu den Stereotypen, die im öffentlichen Diskurs der unmittelbaren Nachkriegszeit das Denken über die Sinti prägten.
Der dem Artikel angefügte Kommentar des Autors zeichnet hingegen ein ganz anderes Bild. Die Schuld für Armut und Kriminalität wird hier nicht mehr beim Individuum selbst gesucht, sondern in gesellschaftlichen Strukturen. In dem Artikel beschriebene Zustände an der „Papenhütte“ sind für den Autor Anlass zur Kritik an der Osnabrücker Gesellschaft. Neben einer Veränderung der Haltung gegenüber der „Papenhütte“ in der Osnabrücker Bürgerschaft müsse "sozial-psychologische Auffangarbeit" von Seiten der Stadtverwaltung geleistet werden. Ebenfalls werden die Obdachlosen in Osnabrück aufgefordet, sich zu organisieren, um ihre Interessen gegenüber der Stadtverwaltung vertreten zu können.
In den 1980er-Jahren gestaltet sich die Berichterstattung über die „Papenhütte“ und die dort ansässigen Sinti neutraler.
Das ist eine deutliche Veränderung gegenüber der Berichterstattung aus den zurückliegenden Jahrzehnten. Die Zeitungsartikel kommen ohne Vorurteile und Verunglimpfungen aus. In entscheidenem Maße haben sich wohl auch die Sinti selbst für ihre Belange eingesetzt. Vertreter der Niedersächsichen Beratungsstelle für Sinti und Roma e.V. werden in der Neuen Osnabrücker Zeitung wiederholt mit Forderungen nach Abschaffung der „Papenhütte“ sowie der wohnlichen und sozialen Integration der Sinti zitiert. Dass man in den 1980er Jahren erstmals mit den Sinti spricht, anstatt über sie zu sprechen, ist ein klarer Bruch mit der Berichterstattung der vorangegangenen Jahrzehnte.
Bemerkenswert ist auch der rechts abgebildete Artikel aus dem Jahr 1985. Der Artikel berichtet vom Ende der „Papenhütte“, also der Umsiedlung der dort ansässigen Sinti-Familien und dem Abbruch der Baracken. Interessant ist allerdings das hier dargestellte Umdenken bei der Stadt Osnabrück. Die Stadtverwaltung bemüht sich in diesen Jahren den Sinti-Familien "menschenwürdige Unterkünfte" und eine soziale Integration in der Osnabrücker Gesellschaft zu ermöglichen. Dieses Umdenken ist - wie schon erwähnt- wohl hauptsächlich Folge des Aktivismus der Sinti-Verbände. Mit der Einebnung der Baracken an der „Papenhütte“ endet also im Jahr 1985 die wohnliche Segregation der Sinti in der Stadt Osnabrück. Die Veränderungen im öffentlichen Diskurs scheinen diesen Entwicklungen zu entsprechen. Wie aber verhält es sich mit der Wahrnehmung der Sinti bei den Bürgern Osnabrücks?
Antiziganismus bleibt bis in die Gegenwart bestehen
Wenngleich die institutionelle Ausgrenzung der Sinti in diesen Jahren zu enden scheint, so kann man selbiges nicht von der individuellen Ausgrenzung und Diskriminierung aus der Gesellschaft heraus behaupten. Dies zeigt sich nicht zuletzt in dem hier behandelten Artikel der NOZ vom 11.12.1985., in dem von Vorurteilen gegenüber den Sinti bei Vermietern berichtet wird, die in Kooperation mit der Stadtverwaltung abgebaut werden mussten.
Deutlicher zeigt sich das Fortbestehen von Diskriminierung und den teilweise jahrhundertealten Vorurteilen über Sinti und Roma in den Erfahrungen und Erlebnissen der Betroffenen, den Osnabrücker Sinti. Die Perspektive der Betroffenen soll abschließend nochmal besonders hervorgehoben werden, denn die Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung ziehen sich bis in die Gegenwart.
Mehr über die Perspektive von Sinti und Roma auf die „Papenhütte“ sowie auf vergangene und gegenwärtige Diskriminierung erfahren Sie auf den Seiten zum Zeitzeugengespräch mit Mario Franz.