Das Ende der „Papenhütte“

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Der Sinti-Verband kritisiert die Lebensumstände der Osnabrücker Sinti. Neue Osnabrücker Zeitung vom 29.10.1984.

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Artikel zum Abriss der Papenhütte. Neue Osnabrücker Zeitung vom 11.12.1985.

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Der ehemalige Vorsitzende des Osnabrücker Sinti-Forums Manfred Böhmer beschwert sich, dass die Stadt keine Tatsachen schafft. Neue Osnabrücker Zeitung vom 09.11.1985.

Die Beseitigung der „Papenhütte“ durch die Stadt ließ lange auf sich warten. Zumindest wenn man bedenkt, dass dies im bürgerlichen Diskurs bereits 1948 gefordert wurde und der „Kleine Rat“ das Thema im März 1953 in der „Neuen Tageszeitung“ ausführlich diskutierte. Erst im Dezember 1965 wurde die letzte Baracke abgrissen. Die Wünsche der Osnabrücker Bürger:innen und die städtische Bauleitplanung gingen weit auseinander. 

Nachdem der Schlichtwohnungsbau umgesetzt worden war und die ersten Baracken abgerissen worden waren, wurde es in den Akten und der Zeitung relativ still um die „Papenhütte“. Für den Teil der Mehrheitsgesellschaft, der nicht aus Eversburg stammte, hatte sich das Problem „Papenhütte“ gelöst. Für die Nachbarschaft und die Bewohner:innen der „Papenhütte“ war aber sehr schnell klar, dass der Schlichtwohnungsbau nicht die Armut und auch nicht die sozialen Probleme und Nöte lösen konnte. Die auf der vorherigen Seite beschriebene Kriminalisierung der sozialen Not wurde auch in den 1960er Jahren fortgesetzt.

In der Zwischenzeit wuchs die Stadt jedoch um die „Papenhütte“ herum, sodass der Ort, der einst randständig war, nun inmitten der Stadt lag. Aus dem vormals wertlosen Land in periphärer Lage war attraktives Bauland geworden, auf der die „Papenhütte“ nun „im Weg“ war. Schon am Ende der 60er Jahre wurden ehemalige Teile der „Papenhütte“ zu Firmengeländen gemacht. In den 80er Jahren verschluckte das umliegende Industriegebiet die „Papenhütte“ endgültig.

Im Zeitzeugengespräch berichtete Mario Franz, den Bewohner:innen der „Papenhütte“ sei in den 1970er und 80er Jahren ein kleines Haus außerhalb der Barackensiedlung angeboten worden, sodass ein Umzug von den Bewohner:innen als positiv erachtet und wohlwollend aufgenommen wurde, auch weil die Bewohner:innen nun nicht mehr auf einem eingezäunten Grundstück leben mussten. Die neuen Häuser waren oftmals aber nicht besser als die vorherigen Unterküfte in der Papenhütte, wie Mario Franz im Interview über das neue Haus seiner Familie Ende der 1970er Jahre berichtete. Sein Bruder Siegfried Franz beschrieb, dass die Sinti der „Papenhütte“ in Häuser umzogen, die sonst niemand bewohnen wollte. „Aus Bruchstein und mit einem Keller voller Wasser, manche ohne Heizung und immer weit weg von der anderen Wohnbevölkerung“1 seien die neuen Unterkünfte gewesen. Die „Papenhütte“ sei aber bis zu ihrem Abriss in den 1980er Jahren weiterhin der zentrale Treffpunkt der Sinti geblieben, sodass Mario Franz trotz des Umzugs tagtäglich die „Papenhütte“ besuchte, um mit seinen Freunden zu spielen.

Im Jahre 1984 kritisierte die Niedersächsische Beratungsstelle für Sinti und Roma die fürchterlichen Wohnverhältnisse der Osnabrücker Sinti, insbesondere die der 15 in der „Papenhütte“ verbliebenen Familien, und gab an, dass auch KZ-Überlebende unter den Vernachlässigten seien, die nie eine Wiedergutmachung für ihr Leid erhalten hätten. Zwar gab die Stadt laut dem nebenstehenden Artikel „Obdachlosigkeit reduziert“ zum Abriss der „Papenhütte“ im Jahre 1985 an, die Umsiedlung der restlichen 15 Sinti-Familien in der „Papenhütte“ sei bereits 1983 geplant gewesen und habe sich in die Länge gezogen, da man den passenden Wohnraum finden wollte, bei dem die sozialen Bindungen der „Papenhütter“ bestehen bleiben können. Aber Mario Franz reflektierte: „Alle waren [nach der Umsiedlung und dem Abriss der „Papenhütte“] auseinandergepflückt, auch am Rande der Stadt, natürlich nicht irgendwo in einer guten Gegend.“

Manfred Böhmer, Vorsitzender des Osnabrücker Sinti-Forums sowie Mitglied des Vorstandes der Beratungsstelle für Sinti und Roma in Hannover, kritisierte noch 1985, dass die Stadt jetzt zwar den Sinti und ihren Forderungen zuhöre, aber keine Tatsachen schaffe. Dass die Stadt Osnabrück in späteren Jahren tatsächlich anfing, sich für die Sinti einzusetzen, beschreibt Siegfried Franz in einem Interview mit der Gedenkstätte Ahlem im Februar 2021. So ermöglichte die Stadt laut Franz den Osnabrücker Sinti erstmals Eigentum zu kaufen, welches sie langsam abzahlen konnten. Siegfried Franz hob diesen Aspekt als großen Erfolg besonders lobend hervor.

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1 Baaske, Reinholf et. al. (Hg.): Fremd im eigenen Land, Bielefeld 2012, S. 129.