Der Schlichtwohnungsbau am Kiefernweg in den Jahren 1958/59
Die „Papenhütte“ ist ein Ort, der polarisiert. Sichtbar wird dies auch an den folgenden Bewertungen aus unterschiedlichen Perspektiven: Während in einem Zeitungsartikel von 1948 von unzumutbaren Verhältnissen in der „Papenhütte“ gesprochen wird, ohne geregelte Müllabfuhr, inmitten von Kriegstrümmern, spricht die Stadtverwaltung im Jahre 1953 von ordentlichen und massiven Holzhäusern. Es wäre verantwortungslos, sollte man diese abreißen, während immer noch Wohnungsnot herrsche. Auf die detaillierten Beschreibungen der menschenunwürdigen Lebensumstände in der „Papenhütte“ reagierte die Stadtverwaltung also damals nur abweisend und versuchte sie zu beschönigen, obwohl wiederholt die prekäre Lage der Bewohner der „Papenhütte“ öffentlich gemacht wurde.
In den zeitgenössischen Dokumenten wurde immer wieder der Aspekt des selbstverschuldeten Elends angeführt, darunter ist auch die oben genannte Stellungnahme der Stadtverwaltung. Besonders die Sinti wurden in diesem Zusammenhang oft als „Asoziale“ bezeichnet, die die unverschuldet in der „Papenhütte“ Wohnenden terrorisieren würden. Diese Unterscheidung in den 1950er Jahren geht auf Kontinuitäten aus NS-Zeit zurück. Die Unterscheidung zwischen „ehrlichen“ und „unehrlichen“ Armen findet sich schon in der Frühen Neuzeit, die Praxis von Umsiedlungen in schlechte Baracken aus „erzieherischen Gründen“ wurde bereits in der Weimarer Republik praktiziert.
Aufgrund der Ansicht, die Unterbringung der Sinti-Familien in der „Papenhütte“ sei selbstverschuldet, wurden diese auch bei den ersten Umsiedlungen in den 50er und 60er Jahren nicht beachtet. Nur die „guten Deutschen“ bekamen im Zuge der bundesweiten Initiative zur Beseitigung der Baracken eine neue Wohnung zugewiesen, während die Sinti weiter in der „Papenhütte“ leben mussten. Mario Franz berichtet in seinem Zeitzeugengespräch, dass am Ende der 60er Jahre und in den 70er Jahren hauptsächlich Sinti die „Papenhütte“ bewohnten: „Das waren nicht viele, die keine Sinti waren, die dort gelebt haben, aber die gab es.“ Die wenigen anderen Bewohner seien Menschen mit Behinderungen, psychischen Problemen oder Suchtkranke gewesen, denen die Gesellschaft keinen Wert oder Nutzen beigemessen habe. Ein weiterer Grund für die fehlende Berücksichtigung bei den ersten Umsiedlungen könnte die Hoffnung gewesen sein, die Sinti würden sich durch die elenden Verhältnisse vertreiben lassen. Peter Widmann schildert solche Vorgehensweisen der Verwaltungen in Freiburg und Straubingen in seiner Studie „An den Rändern der Städte. Sinti und Jenische in der deutschen Kommunalpolitik“.
Erst 1958 wird ein Antrag auf Ersatzwohnungen für die zum Abriss freigegebenen Baracken gestellt, in dem von großer Dringlichkeit die Rede ist.
Es wird im selben Antrag die Angst geäußert, dass mehr „Asoziale“ sich durch die besseren Bedingungen in der „Papenhütte“ ansiedeln könnten. Diese unberechtigte Angst führt Peter Widman in seinen Untersuchungen im o.g. Werk ebenfalls auf und gibt diese auch als Grund für fehlende bauliche Maßnahmen an. Die Stadt Osnabrück entschloss sich trotz dieser Bedenken zum Bau. Jedoch wurden die Bewohner:innen durch den Schlichtwohnungsbau wieder mindestens genauso eng aufeinander gepfercht wie zuvor. Die Stadt setzt hier weiterhin auf die Ghettoisierung der Bewohner:innen der „Papenhütte“, anstatt sie in die restliche Bevölkerung zu integrieren und damit diesen sozialen Brennpunkt zu entschärfen.
Innerhalb von kürzester Zeit wurden erste Diebstähle und Beschädigungen auf der Baustelle (siehe Bilder oben) gemeldet und mit den Sinti assoziiert. Obwohl die Schuldigen nie mit Sicherheit festgestellt werden konnten, schrieb die Stadtverwaltung den Sinti der „Papenhütte“ die Schuld zu. Mario Franz führte bezüglich des Stereotyps des „klauenden Zigeuners“ an: „Wer Kinder hat und von allem ausgeschlossen ist, der muss seine Kinder trotzdem ernähren und der macht das auf irgendeine Art und Weise. [...] Und damit hat man dann wieder diese „Ziganprojektion“ bestätigt: „Das sind die klauenden ‚Zigeuner‘“. Diese wurden in den Berichten oft als besonders schlimm dargestellt und seien quasi die Ursache allen Übels. Der erste Bericht des „Kleinen Rates“, einer Diskussionrunde Osnabrücker Bürger:innen in der „Neuen Tagespost“, führt jedoch an, dass viele Bewohner:innen von Kriminalität betroffen seien, da sie allein aufgrund ihres Wohnortes keine Anstellung fänden. Die Armut der „Papenhütter“ wurde gleich doppelt bestraft. Damit, dass sie in der „Papenhütte“ leben mussten, da sie sich die Miete nirgends sonst leisten konnten und anschließend aufgrund dieses Umstandes keine Anstellung fanden, um aus der Barackensiedlung auszuziehen. Dieser Mechanismus der Kriminalisierung infolge sozialer Not ist dabei ein kaum zu durchbrechender Teufelskreis.
Die Akten über den Schlichtwohnungsbau enden mit der Einzäunung der Grundstücks der „Papenhütte“. Gegen diese Einfriedung hatten sich die Bewohner:innen vermehrt aufgelehnt und die Betonpfeiler des Zaunes zerstört. Der Zaun kann, bezogen auf das bereits anführte Verhalten der Stadt, nur als Maßnahme der stärkeren Exklusion verstanden werden. Die Bewohner:innen der „Papenhütte“ werden zu Beginn der 60er Jahre in einem lagerähnlichen Zustand weiter von der Mehrheitsbevölkerung ferngehalten. Das „Ungewollte“ von dem „Gewollten“ zu trennen, kennt man sonst vor allem aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.