„Asozial“ - Zur Deutung eines Begriffs

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Die angebliche Zusammensetzung des „deutschen Volkes“

Insbesondere in den Osnabrücker Verwaltungsakten aus den 1930er und 40er Jahren wird die „Papenhütte“ als „Asozialensiedlung“ bezeichnet. Doch was bedeutet „asozial“ übrhaupt? Laut dem Soziologie-Lexikon von Reinhold werden „Personen oder Verhaltensweisen [...] als 'ungesellschaftlich', bezeichnet, wenn sie sich nicht an den allgemein anerkannten, praktizierten und erwarteten Verhaltensmustern orientieren.“1 Noch heute dient der Begriff als Beschimpfung und Verunglimpfung von Menschen, die einen relativ niedrigen sozialen Status haben oder aus anderen Gründen als nicht zugehörig zur Mehrheitsgesellschaft angesehen werden. Der Ursprung des Begriff liegt bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus. Die Anwendung dort prägte die Anwendung des Begriffs allerdings maßgeblich. 

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Verkündung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

Bereits in der Zeit des Kolonialismus entstanden Überlegungen zur „Rassenhygiene“, die die Gesellschaft grundsätzlich in Zwei teilten: In „minderwertige“ und „vollwertige“ Menschen. Es kam zu einer „Biologisierung des Sozialen“2, bei der die Ursachen für soziale Schwäche im Erbgut gesucht wurden. Während des Nationalsozialismus wurden diese ideologischen Vorstellungen auf ihren Höhepunkt getrieben. Verfolgung, Zwangssterilisation und Ermordung von Menschen, die als „asozial“ galten, also nicht in die ideologischen Vorstellungen der „NS-Volksgemeinschaft“ passten, wurden alltäglich. Statt einer staatlichen Fürsorge kam es zu einer ideologisch bedingten „Vorsorge“ in Form einer Verfolgungs- und Ermordungspolitik.3

Der vage Begriff eröffnete zwischen 1933 und 1945 die Möglichkeit einer willkürlichen und selektiven Rassenpolitik. Die Frage danach, wer als „asozial“ galt und wer nicht, folgte keinem Regelwerk; weder damals noch heute. Alkoholkranke, Prostituierte und Kriminelle wurden ebenso wie Menschen mit geistiger Behinderung, abweichender Ethnizität oder politischen Einstellungen als „Asoziale“ stigmatisiert. Sie wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt; im Falle Osnabrücks in die „Papenhütte“. Was als Obdachlosenheim im frühen 20. Jahrhundert entstand, sollte nach Plänen der Stadtverwaltung zu einer „Asozialensiedlung“ werden.

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1 Reinhold, Soziologie-Lexikon, S. 36.
2 Hörath, Berufsverbrecher, S. 36.
3 Schmuhl, Euthanasie, S. 170.